Nur wenige wissen, dass Bodybuilding ganz früher mal Kulturistik genannt wurde. Bei dieser Bezeichnung wird der künstlerische Hintergrund viel mehr in den Vordergrund gerückt. Körperveränderung und -gestaltung durch Piercings, Tattoos oder auch durch Bodypainting wird schon eine ganze Weile viel selbstverständlicher als Kunstform angesehen. Nur beim Bodybuilding tun wir uns irgendwie schwer. Warum eigentlich?
Bodybuilding – was ist das eigentlich?
Bodybuilding hat irgendwie ein merkwürdiges Image. Viele haben dabei debile Kraftberge vor Augen, die in einem testosterongeschwängerten Fitnessstudio unablässig Gewichte stemmen und dabei der Unterstützung von Anabolika und anderen Dopingmitteln nicht abgeneigt sind. Dabei ist das Formen des eigenen Körpers heute in der Gesellschaft so weit verbreitet und anerkannt wie nie zuvor. „Strong ist das neue skinny“ heißt es dazu auf den einschlägigen Internetplattformen.
Doch ab wann wird aus einem Kraftsportler ein Bodybuilder und somit zum „Künstler“? Darf ein Bodybuilder überhaupt als Künstler bezeichnet werden? Und ist das Gym dann sein Atelier?
Bodybuilding grenzt sich dadurch vom bloßen Kraftsport ab, wenn das Steigern der Kraft um der Fitness willen in den Hintergrund tritt und der Fokus auf der Körpermodifikation liegt. Bodybuilder gestalten ihren Körper gezielt und der Aufbau von Muskeln ist der direkte Weg. Wie in einer Ausstellung werden bei Wettkämpfen die Ergebnisse präsentiert und nach klar definierten Regeln Bewertungen vorgenommen.
Die Ästhetik steht dabei im Vordergrund und als ästhetisch zählen beim Bodybuilding möglichst stark ausgeprägte Muskelpartien, die sich klar voneinander abheben und am gesamten Körper zu einem wohlproportionierten und symmetrischen Bild führen. Auch die exakte Ausführung der Posen beim sogenannten Posedown fließt in die Bewertung mit ein.
Eine klare Abgrenzung besteht auch zum Bodyshaping. Dabei steht nicht nur das Bilden und Hervorheben der Muskelmasse als körperformender Aspekt im Mittelpunkt, sondern allgemein das Gestalten des Körpers und das Betonen etwa von weiblichen Rundungen. Es wird weniger auf die männlich konnotierte Definition des Körpers durch Muskeln gesetzt, sondern eher das Anstreben eines idealen, fitten Körpers.
Viele wissen heute, dass Fitness und Gesundheit untrennbar miteinander verbunden sind. Nicht nur deshalb erfahren die Studios einen enormen Zulauf, denn auch das richtige Training ist ausschlaggebend für einen nachhaltigen Erfolg. Sport und Bewegung gehören für viele zu einem ausgeglichenen Leben dazu. Einige erheben es zu einer ganz eigenen Lebenseinstellung. Auch zum Bodybuilding gehört dies mit dazu.
Vor allem bei den Wettbewerben liegt ganz klar der formalästhetische Aspekt dieses Körperkultes im Fokus. Unter anderem deshalb ist das Bodybuilding nie als olympische Disziplin zugelassen worden. Der größte Aufwand und die Leistung eines Bodybuilders liegen im Grunde vor dem Wettkampf. Bei der Kür und dem Posedown wird dann das Ergebnis präsentiert.
Dabei stuft das olympische Komitee diese Leistung beim Posen wohl als zu gering ein im Vergleich zu anderen Sportarten. Ein weiteres Problem, das zu einer Verweigerung der Aufnahme in den olympischen Kanon immer wieder auftaucht, ist das Image des Dopings, welches die Disziplin seit Jahr und Tag begleitet.
Bodybuilding ist somit in keiner Kategorie so richtig akzeptiert. Weder bei den Sportlern, als anerkannte Wettkampfdisziplin, noch als Kunstform bei den intellektuellen Kritikern. Möglicherweise sind Letzteren auch die Ausdrucksformen zu eingeschränkt?
Der Bodybuilding Lifestyle
Um den Körper zu formen und die Muskeln aufzubauen, gehört außer der Arbeit im Gym noch viel mehr dazu. Damit das Gesamtkunstwerk bei den Wettkämpfen im besten Licht präsentiert werden kann, wird beispielsweise auch gebräunt und geölt. Damit treten die Konturen noch deutlicher hervor.
Zum Lifestyle eines Bodybuilders gehört ganz wesentlich auch die spezielle Ernährungsweise. Es gilt, den Körperfettanteil so weit wie möglich zu reduzieren. Gleichzeitig wird die Zufuhr von Nährstoffen so ausgelegt, dass der Aufbau von Muskelmasse maximal unterstützt wird.
Insgesamt zeigt sich, dass Bodybuilding im Gegensatz zu anderen Fitnesssportarten auch beim diesem Thema viel mehr ins Detail geht. Über die Grundregeln einer gesunden Ernährung hinaus wissen Bodybuilder in der Regel sehr genau über die Wirkungsweisen der einzelnen Stoffe im Körper Bescheid. Einerseits spielt dabei das passende Gleichgewicht von Eiweiß und Kohlenhydraten eine wichtige Rolle, andererseits wird auch auf den Hormonspiegel besonderen Wert gelegt, allen voran auf das männliche Sexualhormon Testosteron, welches direkt mit dem Muskelwachstum, aber auch mit weiteren wichtigen Funktionen im Körper zusammenhängt – und das bei Frauen, wie auch bei Männern. Um das Muskelwachstum zu beschleunigen ist der gezielte Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln oder auch Präparaten zur Steuerung des Hormonspiegels weit verbreitet.
Allein die Tatsache, dass in der Szene „normale“ Wettkämpfe wie beispielsweise die Wahl zum Mr. Universum oder zu Mr. Olympia stattfinden und es parallel Veranstaltungen im Bereich „Natural Bodybuilding“ gibt, zeigt, wie tief verwurzelt der Gebrauch leistungssteigernder Substanzen bei dieser Disziplin ist. Bei letzterem wird auf diese Unterstützung bewusst verzichtet.
Arnie im Museum
Die Wettkämpfe beim Bodybuilding haben etwas von den Skurrilitätenkabinetten die früher ein fester Bestandteil jeder Kirmes waren. Wir wissen nicht genau, ob wir die Muskelberge ästhetisch finden sollen oder nicht. Der Kraftexzess wirkt gleichzeitig faszinierend und abstoßend, allein aufgrund des schieren Ausmaßes.
Dabei bestehen hier vielleicht schon die größten Gemeinsamkeiten mit anderen Kunstformen. Arnold Schwarzenegger präsentierte sich selbst sozusagen als lebendige Statue bereits 1976 im Whitney Museum in New York. „Articulate Muscle: The Male Body in Art“ hieß die Ausstellung.
Dabei war diese Performance nur eine von vielen, mit denen das Bodybuilding als Teil der damals sehr populären Body-Art Bewegung positioniert werden sollte. Kurz zuvor war Schwarzenegger in einer wegweisenden Dokumentation mit dem Titel „Pumping Iron“ aufgetreten.
Was nun – Kunst oder nicht?
Den eigenen Körper als Leinwand zu betrachten, ihn als Ausdruck und Versinnbildlichung der Kraft an sich werden zu lassen macht das Wesen des Bodybuildings aus. Deshalb sollte die Disziplin ganz klar der Kunstgeschichte zugerechnet werden, so Kunsthistoriker und selbst Bodybuilder Jörg Scheller. In seinem Buch „No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuildings“ untersucht er den künstlerischen Hintergrund genauer.
Die Ästhetisierung des eigenen Körpers wird dabei zum obersten Gebot. Der Künstler begibt sich ins Studio um am Kunstwerk zu arbeiten. Mit dem Ziel aus sich selbst eine Skulptur zu erschaffen. Irritierend wirkt dabei die Tatsache, dass Künstler und Kunstwerk sozusagen identisch sind. Unmittelbarer kann ein Künstler nicht mit seinem Werk verbunden sein.
Auch Andy Warhol beschäftigte sich mit dem extremen Körperkult. Schwarzenegger besuchte ihn 1977 in seinem New Yorker Studio „The Factory“. Ein Foto, auf dem sich die beiden so unterschiedlichen „Künstler“ gegenüberstehen bildete Ende 2015 den Auftakt einer Ausstellung in der Züricher Kunsthalle. Auch hier wurde das künstlerische Potential der Disziplin im Schatten der Sportwelt näher beleuchtet.
„Dies ist keine Kunstausstellung. Es ist eine Ausstellung, die unter Einbezug von Kunst von Kunst handelt, genauer: von der Verkunstung des menschlichen Körpers im Bodybuilding.“
Mit diesem Statement im Eröffnungstext der Ausstellung „Building modern Bodies. Die Kunst des Bodybuildings“ wird klar, wie schwer sich die Kunstwelt mit der Anerkennung als echte künstlerische Disziplin immer noch tut.
Be a Somebody with a Body
Warhols wohl bekanntestes Werk in diesem Zusammenhang ist wohl seine Gegenüberstellung einer stilisierten Abbildung Jesus aus dem letzten Abendmahl mit der Darstellung eines Bodybuilders im Stil einer Werbeanzeige und dem Schriftzug „Be a somebody with a body“.
Beide Werke wurden zwar zuweilen auch getrennt voneinander präsentiert, doch durch die Zusammenstellung als Diptychon wird sowohl die Menschwerdung Jesus als auch das Schaffen und Bearbeiten des Körpers durch den Bodybuilder in einen anderen Kontext gestellt. Die „Fleischwerdung Gottes“ und der „Akt des Formens eines Körpers“ werden dabei in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht.
Ganz im Sinne der Pop-Art holt Warhol Jesus dabei als Sinnbild und Metapher schlechthin herunter vom Thron hinab in die Ebene des Weltlichen und Alltäglichen. Der Akt der Schöpfung wird banalisiert indem er auf dieselbe Stufe gestellt wird wie das Schaffen des Bodybuilders. Gleichzeitig wird dieser erhöht und sein Tun in ein anderes Licht gestellt. Ohnehin wirkt der helle Kranz um den Kopf des Sportlers dabei selbst wie ein Heiligenschein.
Joseph Beuys war es schließlich, der Christus als Erfinder des Bodybuildings bezeichnete. Höchste Zeit also eigentlich, um der Körperkunst einen festen Platz in der Kunstgeschichte einzuräumen.