90-60-90, große Oberweite, schmale Taille, lange Haare, kleine Nase. Körper und ihre idealen Formen sind ein Dauerthema. Und das nicht nur heute, sondern seit Menschengedenken. Nur zwei Dinge ändern sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte: die Vorstellung davon, was schön ist und die Plattformen, auf denen Schönheit diskutiert wird. Heute gehören zu diesen Plattformen die sozialen Netzwerke. Auf Fotos wird versucht, dem Ideal möglichst nahe zu kommen und in Kommentaren kriegen jene Menschen sehr unsanft ihr Fett weg, die davon zu viel, zu wenig oder es an der falschen Stelle haben.
„Bodyshaming“ nennt sich das Urteilen über andere Körper. Dabei ist es ganz egal, ob Mann, Frau, dick oder dünn – viele Menschen sind den gnaden- und herzlosen Sticheleien und Anfeindungen anderer Menschen ausgesetzt. Und das nur, weil sie aussehen, wie sie aussehen. „Wenn ich so fett wäre, würde ich mich nicht mehr aus dem Haus trauen“ oder „da sind ja Salzstangen dicker als diese dürren Stelzen.“
Jeder Körper ist schön. Nicht.
Aus diesem allgegenwärtigen Hass ist eine Gegenbewegung entstanden: „Body Positivity“. Jeder Körper ist schön, so wie er ist, lautet die Botschaft. Das klingt doch nach einer schönen Idee, oder? Für mich bleibt es aber bei einer bloßen Idee. Denn „Body Positivity“ schießt für mich nicht nur übers Ziel hinaus, sondern ist etwas, das nicht in unserer Natur liegt und somit immer aufgesetzt sein wird. Denn machen wir uns nichts vor: Wir finden nicht alle Körper schön. Ich finde beispielsweise androgyne Frauenkörper schön. Wenn sie klar definiert und drahtig sind. Bei Männern gefällt mir, wenn die Zähne nicht ganz gerade sind und die Haare silbergrau. Das mag nicht jeder. Das ist auch gut so.
Wir suchen ganz archaisch nach Menschen, die sich für die Fortpflanzung eignen könnten. Alleine dadurch wird unsere Vorstellung von schön und attraktiv schon sehr beeinflusst. Dazu kommt, dass wir auch auf der psychischen Ebene nach den Menschen suchen, die uns ansprechen. Wir suchen solche, die uns reizen, ähnlich sind oder Gegensätze haben, die uns anziehen. Vielleicht haben Sie ja auch schon erlebt, wie attraktiv wir einen Menschen äußerlich finden können, wenn uns sein Charakter gefällt. Also lasst uns aufhören, uns vorzumachen, wir könnten alle alles schön finden! Das kann nur nach hinten losgehen.
Ist mir alles egal – Shaming, Positivity, Gleichgültigkeit
Ich bin für eine neue Bewegung: Weg von Shaming und Positivity hin zu mehr Gleichgültigkeit. Wir reden hier über unsere Körper. Klar, sind sie immer da, aber sie sind auch nur das Werkzeug, mit dem wir unser Leben führen. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist also wichtig, dass wir gut zu unserem Körper sind. Dass wir auf seine Bedürfnisse hören, ihn mit all seinen Ecken, Kanten und Rundungen akzeptieren und uns wohl in ihm fühlen. Wenn wir uns mit künstlichen Fingernägeln wohlfühlen, dann ist das okay. Wenn wir uns mit Leistungssport wohlfühlen, dann ist das okay. Und wenn wir uns in engen Leggings oder schlabbrigen Kapuzenpullis wohlfühlen, dann ist das auch okay. Und das alles ist so egal. Denn es ist unser Körper. Wir sollten bestimmen dürfen, was wir mit unserem Körper anstellen, und das sollte anderen Menschen im besten Fall schnurzpiepegal sein oder zumindest sollten sie es einfach akzeptieren.
Nackt vor dem Spiegel stehen ist die halbe Miete
Den eigenen Körper annehmen ist ein Prozess. Wir müssen uns bewusst darauf einlassen. Dafür sollte der Blick raus aus den Frauenzeitschriften, rein in das eigene Spiegelbild gerichtet werden. Wer sich zwei Minuten lang nackt im Spiegel aus jeder Perspektive anschauen und dann immer noch lieben kann, hat schon viel erreicht. Hier macht - wie so oft - Übung den Meister. Wer sich selbst akzeptiert, braucht die Vergleiche mit anderen Menschen nicht, aus denen er entweder Selbstvertrauen oder Selbstmitleid zieht.
Unser Körper begleitet uns, bis wir sterben. Wir sollten uns also gut mit ihm stellen. Wir sollten aber auch verstehen, dass es nicht der Körper ist, der uns als Mensch aus- und damit glücklich macht.