Alle Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder zu glücklichen, selbstständigen Menschen heranwachsen. Doch wie kann man diesen Prozess begleiten? Welche Bedürfnisse haben Kinder wirklich und wie können Eltern sie erfüllen? Wie sorgt man für eine tiefe Bindung und setzt gleichzeitig Grenzen? Fakt ist: Es ist eine große Herausforderung, die kindliche Entwicklung zu begleiten. Je mehr du darüber weißt, umso besser wird es dir gelingen. Deshalb haben wir dir diesen Artikel zusammengestellt und legen dir außerdem das Interview mit Dagmar Neubronner ans Herz. Sie erzählt dort viel von ihrem eigenen Werdegang und dem, was sie über die Entwicklung von Kindern gelernt hat.
Was brauchen Kinder? Die Bedürfnispyramide nach Maslow
Der US-amerikanische Psychologe A. Maslow hat schon vor Jahrzehnten zum Thema Bedürfnisse geforscht. Er hat eine Bedürfnispyramide entwickelt, die noch heute Gültigkeit hat. Die Bedürfnispyramide hat fünf Stufen mit unterschiedlichen Bedürfnissen:
- Ganz unten, an der Basis, stehen die physiologischen Bedürfnisse. Gemeint sind solche Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlaf oder Wärme.
- Die zweite Ebene der Pyramide beinhaltet das Bedürfnis nach Sicherheit. Wir wollen uns körperlich und materiell sicher fühlen. Dazu gehört eine gewisse Sorgenfreiheit, aber auch Geborgenheit.
- Auf der dritten Ebene der Bedürfnispyramide von Maslow stehen soziale Bedürfnisse. Wir wollen in der Familie, im Freundeskreis und im schulischen oder beruflichen Umfeld gemocht sein. Wir haben ein Bedürfnis nach festen, intensiven Bindungen.
- Die vierte Ebene der Pyramide besteht aus den Individualbedürfnissen. Dazu gehört der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung. Aber auch das Streben nach Erfolg, Unabhängigkeit, Freiheit und Stärke gehört in diesen Teil der Bedürfnispyramide.
- Ganz oben, in der Spitze der Pyramide, steht die Selbstverwirklichung. Der Mensch hat das Bedürfnis, sich selbst Herausforderungen im Leben zu suchen und die individuellen Fähigkeiten zu entwickeln.
Wichtig für das Verständnis der Bedürfnispyramide von Maslow ist dies: Die einzelnen Bedürfnisse bauen aufeinander auf. Nur wenn die Grundbedürfnisse auf den unteren Ebenen gut erfüllt sind, erwachen die Bedürfnisse auf den anderen Ebenen. Wer hungert, friert oder in einer gefahrvollen Umgebung lebt, macht sich wenig Gedanken um persönliche Freiheit oder Selbstverwirklichung. Deshalb müssen die Grundbedürfnisse an der Basis der Pyramide immer als erstes befriedigt werden.
Die Grundsätze der Bedürfnispyramide von Maslow gelten für alle Menschen, für Kinder aber ganz besonders. Babys kommen nicht mit dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung auf die Welt, das entwickelt sich erst deutlich später. Aber sie brauchen dringend eine Erfüllung der körperlichen Bedürfnisse und des Sicherheitsbedürfnisses.
Bedürfnisse erfüllen: Kleine Kinder können nicht lange warten
Immer noch geistert die Idee in den Köpfen von Erwachsenen herum, man könne Babys oder Kleinkinder verwöhnen. Man solle sie doch einmal schreien oder zumindest warten lassen. Diese Vorstellung ist grundfalsch. Sehr kleine Kinder können ihre Bedürfnisse noch nicht auf die lange Bank schieben. Und sie können sich nicht selbst versorgen. Wenn sie hungrig, durstig, einsam oder ängstlich sind, Schmerzen oder Langeweile haben, dann sind sie auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Wenn die Eltern diese Grundbedürfnisse nicht erfüllen, fühlen sich die Kinder unsicher. Sie bekommen Angst und der Stress im Körper steigt an. Die Bindung zu den Eltern leidet.
Deshalb ist es gerade bei Babys und Kleinkindern sehr wichtig, sie in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen. Babys sollten zum Beispiel nicht nach einem festen Plan gestillt oder gefüttert werden, sondern immer dann, wenn sie Hunger signalisieren. Sie sollten auch nicht zu früh dazu genötigt werden, alleine zu schlafen oder sich von den Eltern zu trennen.
Eine gute Bindung sorgt für Selbstständigkeit
Das Wichtigste, das du deinem Kind in den ersten Jahren seines Lebens geben kannst, ist eine gute und sichere Bindung. Ein Kind sollte das Gefühl haben, dass die Mutter (oder eine andere wichtige Bezugsperson) immer da ist und im Zweifel alle Probleme lösen kann. Dazu gehört, dass die Bedürfnisse nach Nähe so weit wie möglich erfüllt werden.
Viele Eltern ecken mit dieser Sichtweise bald an. In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch üblich, Kinder möglichst schnell in soziale Umgebungen zu zwingen, die eine Anpassung und Trennung von den Eltern nötig machen. Es scheint normal zu sein, dass Eltern immer wieder ihre Kinder von sich schieben, damit diese Selbstständigkeit lernen.
Dagmar Neubronner erklärt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist: "Kinder, die um die Zuwendung und Sicherheit der Eltern kämpfen müssen, werden später selbstständig. Wenn sie sich dagegen uneingeschränkt auf die Bindung zu Mutter und Vater verlassen können, dann kommt auch der Wunsch auf, Dinge selbstständig zu erledigen und die Welt zu entdecken."
Das leuchtet auch ein, wenn du dir noch einmal die Bedürfnispyramide nach Maslow ins Gedächtnis rufst. Erst dann, wenn die physiologischen Grundbedürfnisse, das Gefühl von Sicherheit und die sozialen Bedürfnisse ausreichend befriedigt sind, wächst der Wunsch nach Eigenständigkeit. Gib deshalb deinen Kindern so viel Sicherheit und Nähe, wie sie brauchen! Die Selbstständigkeit und Abnabelung passieren dann von alleine.
Die Bedeutung von freiem Spiel
Kinder in einer gesunden Entwicklung tun vor allem eines: Sie spielen. Freies Spiel ist laut Dagmar Neubronner eine Erholung vom Alltag. Hier ist alles möglich und alles erlaubt. Spielen ist absichtslos und verfolgt kein Ziel. Und es bleibt folgenlos. Das Spiel ist dafür da, sich auszuprobieren, zu lernen und Gefühle zu erforschen. Deshalb ist das freie Spiel ganz entscheidend für die gesunde Entwicklung von Kindern. Und ehrlich gesagt profitieren auch Erwachsene noch sehr davon, wenn sie Gelegenheit zum Spiel haben, in dem sie sich ausprobieren können.
Für die Entwicklung deines Kindes ist es deshalb sehr wichtig, ihm das Spielen zu ermöglichen. Erzwingen kann man es nicht, ein Kind muss von selbst in Spiellaune kommen und sich ausprobieren. Dazu ist eine gewisse Langeweile nötig. Und die wird in unserer Gesellschaft leider immer seltener. Zum einen haben viele Kinder schon in den ersten Jahren ein recht straffes Programm mit Kursen und Betreuung. Und zum anderen nehmen elektronische Medien Kindern die Möglichkeit zur Langeweile. Immer dann, wenn nichts anderes los ist, können sie sich von Smartphone, Tablet oder TV bespaßen lassen. Dadurch entwickelt sich immer weniger Langeweile und immer weniger Spiel. Das schadet der Fähigkeit der Kinder, sich selbst zu entwickeln und kennenzulernen. Achte deshalb im Sinne ihrer Entwicklung darauf, deinen Kindern viel Zeit und Gelegenheit zum freien Spiel zu ermöglichen!
Vorbild statt Erziehung
Natürlich brauchen Kinder auch Grenzen und Regeln. Sie müssen wissen, in welchem Rahmen sie sich bewegen können. Innerhalb dieser Grenzen können sie sich dann gesund und sicher entwickeln. Viele Eltern versuchen allerdings, die Grenzen durch Strafen und strenge Erziehung durchzusetzen. Wichtiger ist jedoch das gute Vorbild innerhalb der Familie. Kinder lernen von der Erfahrung anderer Menschen. Erwachsene sollten sich deshalb bewusst machen, dass ihre Lebensweise und ihr Verhalten entscheidend für die Entwicklung und die Fähigkeiten der Kinder sind. Deshalb ist es für jede Mutter und jeden Vater, aber auch für andere Erwachsene in der Familie oder in der Umgebung des Kindes so wichtig, die eigenen Verhaltensweisen immer wieder zu hinterfragen. Das gilt vor allem dann, wenn in der Entwicklung des Kindes etwas nicht optimal läuft.
So lernst du, deine Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten
Wenn du mehr über die gesunde Entwicklung von Kindern lernen möchtest, solltest du dir zunächst das Video mit Dagmar Neubronner auf FreeSpirit TV anschauen. Dort erfährst du auch, welche Kurse und Gruppen Dagmar Neubronner anbietet, um Eltern, Lehrer und andere Personengruppen zu unterstützen. Sie hat zum Beispiel ein wertvolles Buch geschrieben, das "Der Neufeld-Ansatz" heißt. Im Buch geht es um die bedürfnisorientierte Entwicklung von Kindern. Lerne jetzt, deine eigenen Bedürfnisse und die deines Kindes wieder ernst zu nehmen!