Verliebtheit gleicht einem großen Rausch – fühlen wir uns von einem anderen Menschen erotisch angezogen, sehen wir ihn am Anfang durch die rosa Brille und erleben körperlich und emotional Höhenflüge. Erotische Liebe kann uns wie ein Blitz treffen, während Freundschaft Zeit braucht, um zu wachsen. Schuld daran sind unterschiedliche Botenstoffe, die von unserem Gehirn ausgeschüttet werden, wenn wir auf die andere Person treffen. Erste Verliebtheit klingt wieder ab, Beziehungen gehen zu Ende – Freundschaften bleiben. Auch nach einer längeren Trennung vom besten Freund ist alles so wie früher, wenn wir einander wieder begegnen. Beide Gefühle schließen einander nicht aus. In einer glücklichen Beziehung bedingt sogar Freundschaft Liebe.
Was macht den Unterschied zwischen Freundschaft oder Liebe aus?
Einer der großen Unterschiede zwischen Freundschaft und Liebe ist unsere eigene Bewertung davon. In unserer Gesellschaft wird der erotischen Liebe ein höherer Stellenwert beigemessen. Ab dem geschlechtsreifen Alter sind die meisten Menschen auf der Suche nach einem Geschlechtspartner, der im Idealfall dazu bereit ist, gemeinsam zu leben und zusammen Kinder groß zu ziehen.
Die Suche nach einem erotischen Gegenpart ist eine aktive, wohingegen Freunde oft einfach passieren. Freundschaften können sich zwischen völlig unterschiedlichen Menschen entwickeln und vertiefen. Alter, Geschlecht, soziale Herkunft und gemeinsame Interessen spielen dabei eine weniger große Rolle als bei der Partnerwahl.
Sind wir auf Pirsch, scannen wir potentielle Partner automatisch nach Gemeinsamkeiten ab. Gute Freundschaften entwickeln sich oft zufällig und sind auch bei großen charakterlichen Unterschieden möglich. Wir sitzen in der Schule nebeneinander, wohnen nebenan oder besuchen den gleichen Sportverein. Bei Freunden zählen eher die inneren Werte, während bei Sexualpartnern Aussehen und Ausstrahlung eine große Rolle spielen, um sich überhaupt zu verlieben. Andere Menschen lösen bestimmte Schlüsselreize in uns aus, die sie für uns sexuell interessant machen. Das muss aber nicht heißen, dass sie sich für eine dauerhafte Beziehung eignen.
Es ist kompliziert – das Problem mit der erotischen Liebe
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich auch die Einschätzung der körperlichen Liebe verändert. Bis zum Biedermeier waren Ehe und die sexuelle Komponente nicht zwingend miteinander verbunden. Eine Ehe regelte die Erbfolge und den Besitz. Erotische Abenteuer konnten durchaus außerhalb davon stattfinden. Die griechische Mythologie ist voll mit Ehebrechern, allen voran der Göttervater Zeus, der so ziemlich jeder schönen Frau nachstellte, wo er nur konnte. Männer im antiken Griechenland konnten sich eine freundschaftliche Beziehung mit einer Ehefrau gar nicht vorstellen. Romantische und auch zärtliche Gefühle wurden auf junge Knaben projiziert, die als Männer eher auch intellektuell angemessen erschienen. Mit der Emanzipation der Frau, modernen Verhütungsmethoden und Vaterschaftstest bekam die sinnliche Liebe auch mehrere Aufgaben zugeschrieben.
Sexualpartner sollen nun auch andere Bedürfnisse erfüllen. Sie sollen nicht nur Objekt der sexuellen Begierde, sondern auch Partner für die Kinderaufzucht und bester Freund sein. Allerdings fehlen dafür oft die Vorbilder von außen. Das Narrativ der erotischen Liebe in Literatur, Film und Musik deckt oft nur die Situation der Eroberung ab. Geschichten enden meist dort, wo die Liebe erst beginnt. Dort, wo sich zwei Menschen finden und binden.
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Der erotische Zauber von Sehnsucht
Vorfreude ist die schönste Freude. Was für Weihnachtsgeschenke gilt, trifft auch auf die romantische Liebe zu. Das Überwinden von Hindernissen, räumliche Trennung oder gar verbotene Liebe hat einen besonderen Reiz und ist ein großer Katalysator für die Erotik. Unerfüllte Liebe liefert nicht nur besseren Stoff für Dramen und Geschichten. Sehnsucht ist auch ein sehr großes Aphrodisiakum. Schon Flirten beim ersten Date ist ein Spiel zwischen Nähe und Distanz. Viele Ratgeber für Frauen legen es ihren Leserinnen nahe, sich rar zu machen und ihren Werbern nicht allzu schnell nachzugeben, möchten sie sie länger an sich binden.
Freundschaft kennt diesen Aspekt überhaupt nicht. Obwohl echte Freundschaft lange Trennungen problemlos überdauern kann, lebt sie von gemeinsamen Geschichten, zusammen verbrachter Zeit, die nicht immer angenehm sein muss. Freunde helfen uns über weniger angenehme Phasen hinweg und feiern aber auch schöne Zeiten. Das Umfeld ist weniger wichtig, als der Mensch. Während romantische Beziehungen ein Ablaufdatum haben können, ist es eher unüblich, Freundschaften zu beenden. Sie begleiten uns oft ein ganzes Leben lang, egal wohin sich die Beteiligten entwickeln.
Die Chemie hinter Freundschaft und Liebe
Sind wir verliebt, schüttet unser Körper bestimmte Hormone aus. Ein bestimmtes Liebeshormon gibt es nicht, es ist vielmehr ein Cocktail an Botenstoffen, die uns auf Wolke sieben wandeln lässt, wenn wir in jemanden verliebt sind. Er besteht aus:
- dem Glückshormon Dopamin: Es spricht das Belohnungszentrum im Gehirn an. Der Neurotransmitter hat auf uns eine ähnliche Wirkung wie eine Droge. Wir wollen immer mehr von der glücksversprechenden Substanz, der begehrten Person. Gleichzeitig sinkt der Serotoninspiegel. Serotonin würde uns auch ohne Partner glücklich machen.
- dem Stresshormon Cortisol: Es macht uns aktiv, handlungsbereit und aufgeregt. Gleichzeitig wird Adrenalin produziert. Das lässt unser Herz schneller schlagen, macht impulsiv, aber kann auch das logische und konzentrierte Denken erschweren.
- Für einen rauschartigen Zustand sorgt auch das Hormon Phenylethylamin. Es kann auch bei der Lektüre von Liebesromanen oder bloßen Gedanken an den Partner ausgeschüttet werden. Der Körper gewöhnt sich allerdings nach spätestens zwei Jahren daran und die Wirkung bleibt aus.
Verliebtsein bedeutet also auch eine Herausforderung für unseren Hormonhaushalt. Liebe kann also durchaus blind und unkonzentriert machen. Die produzierten Botenstoffe wirken auf die selben Hirnregionen wie Drogen. Deswegen gleichen die Anzeichen von Liebeskummer oft Symptomen von Entzugserscheinungen bei Drogensucht. Sind wir nicht mehr verliebt, kann deswegen ein Vakuum entstehen. Freundschaft, Sicherheit und verlässliche soziale Kontakte bewirken etwas völlig anderes in uns.
Soziale aber auch körperliche Nähe mit und ohne Sex bewirken die Produktion anderer Stoffe:
- Das Hormon Oxytocin bindet Menschen aneinander. Es reduziert nachweislich das Stresslevel im Körper. Es wird während der Geburt und der Stillphase ausgeschüttet und unterstützt so die Bindung von Mutter und Kind. Nach dem Sex sorgt es für eine stärkere Vertrautheit zwischen den Partnern, weshalb es auch den Namen Kuschelhormon trägt. Es wird auch durch Meditation, Massagen, normale nichterotische Kontakte, das Streicheln von Tieren und sogar bei sozialer Interaktion auf Social Media Kanälen gebildet.
- Endorphine werden bei Kontakt mit Freunden ausgeschüttet. Sie wirken stressreduzierend und leicht schmerzstillend, trotzdem können wir klar denken.
Durch Freundschaft Liebe besser verstehen
In einer gelungenen Partnerschaft wird mit der Zeit aus der ersten Verliebtheit Freundschaft. Das braucht aber seine Zeit. Klingen die ersten Anzeichen großer Verliebtheit ab, gilt es, die andere Person als Mensch ernst zu nehmen und mit all ihren Fehlern und Differenzen zu respektieren. Das klingt nach unromantischer Arbeit, ist aber auf der anderen Seite bei Freunden ganz normal.
- Bei Freunden genießen wir einfach ihre Gesellschaft und haben weniger Ansprüche. Ist das der Fall, kann Vertrauen viel schneller entstehen. Wir erkennen und wissen die Fehler unserer Freunde zwar, nehmen sie aber nicht so persönlich und haben oft weniger Ansprüche an sie.
- Der große Unterschied zwischen natürlich gewachsener Freundschaft und einer Partnerschaft kann auch darin liegen, dass wir bei Freunden viel eher dazu bereit sind, Kompromisse einzugehen.
- Die Möglichkeit einer Trennung, wenn irgendetwas nicht passt, liegt viel weiter entfernt.
- Unbewusst investieren wir Arbeit, Toleranz, Verständnis und Akzeptanz in Freundschaften, ohne dass es uns schwer oder mühsam erscheint.
Hormone spielen in der Liebe eine wichtige Rolle, aber wir sind ihnen keineswegs ausgeliefert. Wissen wir aber über ihre Wirkungen Bescheid, fällt es uns leichter, damit umzugehen. Die große Liebe findet uns nicht, sie ist oft einfach das Resultat unserer Handlungen.
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