Das Leben zu zweit ist oft mühsam genug, denn welche Beziehung wäre schon dauerhaft harmonisch? Mit einem weiteren, ständigen Begleiter, der auf unangenehme Art und Weise nach Aufmerksamkeit verlangt, wird das keineswegs einfacher: chronische Erkrankungen sind für Betroffene wie Partner mitunter eine so große Belastung, dass die Beziehung daran zerbricht. Ein gemeinsames und glückliches Leben mit einem chronisch erkrankten Partner ist trotzdem möglich, es gibt dabei bloß keinen einfachen Weg.
Inhalt:
- Wie kann eine chronische Krankheit eine Beziehung beeinflussen?
- Chronische Krankheit: Was bedeutet das?
- Welche Phasen durchläuft ein chronisch Kranker?
- Herkulesaufgabe Bewältigung - was kann man tun?
- Chronische Krankheit als Stigma
- Welche Konsequenzen kann eine Krankheit in einer Beziehung haben?
- Die körperliche Ebene
- Die psychische Ebene
- Auswirkungen auf das Gefühlsleben
- Erfahrungsberichte - aus dem Leben
Wie kann eine chronische Krankheit eine Beziehung beeinflussen?
Chronische Krankheiten, ganz gleich, ob sie erblich bedingt von Geburt an bestehen oder erst im Laufe des Lebens auftreten, sind ständige Begleiter. Sie sind nur schwer oder überhaupt nicht heilbar, sie verschwinden also nicht wie eine Erkältung. Das bedeutet, dass eine besondere Form des Arrangements mit der Erkrankung notwendig ist, für die Betroffenen, für die Partner, für die Familie, für das Leben schlechthin.
Die Krankheit ist Teil des Alltags, gehört mit dazu, bestimmt diesen mehr oder weniger. Die wichtigste Frage, die sich Erkrankte und deren Partner daher stellen müssen, lautet: Wie wollen wir damit umgehen? Vorher stellen sich allerdings noch ganz andere Fragen, angefangen mit der, was genau denn unter „chronisch“ eigentlich zu verstehen ist.
Chronische Krankheit: Was bedeutet das?
Überhaupt lässt sich schon grundsätzlich eine, wenn auch vornehmlich theoretische, Unterscheidung zwischen den Begriffen „Krankheit“ und „Erkrankung“ treffen. Theoretisch deshalb, weil es im Kern um das Gleiche geht, „Erkrankung“ aber mehrheitlich mit der Perspektive der Mediziner verbunden wird. Im Fokus stehen hierbei vor allem die Prozesse im Organismus.
„Krankheit“ hingegen umfasst eher die Patientenperspektive, weswegen der Begriff in seiner Bedeutung, gerade im Zusammenhang mit chronischen Krankheiten, über die Aspekte hinausgeht, die eng mit dem Gesundheitswesen verknüpft sind (also krankhafte Veränderungen, Therapie, etc.). Er spiegelt vielmehr die subjektiven Erfahrungen wider, greift darüber hinaus den psychosozialen Aspekt auf, der mit einer andauernden Krankheit immer einhergeht.
Damit ist zugleich der offenkundigste Unterschied zu einer akuten Erkrankung bereits angesprochen: die Zeitkomponente. Im akuten Fall treten die Krankheitssymptome für gewöhnlich plötzlich ein und verschwinden nach einer gewissen Zeitspanne wieder. Behandlungen und Einschränkungen sind also nur von vergleichsweise kurzer Dauer, danach kehrt alles wieder zurück zur Normalität.
Für Patienten mit einer chronischen Krankheit gilt ebendas nicht. Es ist zwar möglich, dass eine solche Erkrankung erst irgendwann im Verlauf des Lebens ausbricht, die Aussicht auf eine Rückkehr zu einem gesunden Zustand ist aber per Definition ausgeschlossen. Die Krankheit wird, wenn man so will, der Normalzustand, der streckenweise von Phasen unterbrochen wird, in denen die Betroffenen für ihre Verhältnisse gesund sind.
Welche Phasen durchläuft ein chronisch Kranker?
Abgesehen von diesem ständigen Auf und Ab durchlaufen Menschen mit chronischen Krankheiten ganz typische Phasen, von denen das beschriebene Schwanken zwischen einem stabilen (also quasi-gesunden) und einem instabilen Zustand eine davon ist. Wie einige andere ist sie oft wiederkehrend, weil sich die Stabilität oft nicht über einen längeren Zeitraum erhalten lässt. Allerdings ist das abhängig vom jeweiligen Krankheitsverlauf, der selbst bei Betroffenen mit der gleichen Diagnose sehr unterschiedlich sein kann.
Unabhängig von dieser individuellen Dynamik des Verlaufs gehören die folgenden Phasen trotzdem dazu:
Beginn der Krankheit
Um es noch einmal zu verdeutlichen: Mit Krankheit ist die subjektive Perspektive der Betroffenen gemeint, vor allem hinsichtlich der gemachten Erfahrungen. Die Erkrankung kann durchaus schon länger bestehen, man denke nur an erblich bedingte Krankheiten, die bereits seit der Geburt vorliegen. Das kann je nach Krankheit unterschiedlich sein und chronische Krankheiten gibt es schließlich viele.
Gemeint ist in diesem Fall das erste Auftauchen von Symptomen, die erste Diagnose, die üblicherweise auch den ersten regelmäßigen Kontakt mit den Akteuren des Gesundheitswesens kennzeichnet. Für die Betroffenen bedeutet diese Phase außerdem häufig nicht nur physische Folgen aufgrund ihrer Krankheit, sondern ebenfalls psychische Auswirkungen, zu denen die Notwendigkeit der medizinischen Behandlung bis hin zu möglichen Krankenhausaufenthalten beitragen.
Krise(n)
Trost spenden, wenn eine Krise über den Alltag hereinbricht, zählt zu den wichtigen Aufgaben von Partnern chronisch Kranker.
Phasen instabiler Gesundheitszustände münden in besonders schwerwiegenden Fällen leicht in Krisen. Es ist den Betroffenen dann nicht mehr möglich, ihren Alltag eigenständig und aktiv zu gestalten, die Krankheit schränkt sie dazu zu sehr ein. Besonders in lebensbedrohlichen Situationen verstärkt sich das durch Schockzustände und/oder Desillusionierung. Partner sind dann besonders gefragt, weil sie solche Krisen wenigstens zum Teil auffangen, selbst wenn sie ähnlich desillusioniert oder geschockt sind.
Normalisierung
Wie bereits gesagt, gibt es bei chronischen Krankheiten selbstverständlich auch Zeiten, in denen die Probleme und damit die Einschränkungen im Alltag weitgehend in den Hintergrund treten und der Körper sich erholt. Jetzt fällt es am leichtesten, ein aktives Leben zu führen und zu gestalten, mit allem, was auch für Gesunde dazugehört.
Im Gegensatz hierzu steht der bereits genannte Wechsel zwischen stabilen und instabilen Phasen. Letztere erweisen sich selbst dann als Störfaktor für den Alltag, wenn sie nur mit verhältnismäßig leichten Veränderungen einhergehen. Sie sind zudem auch auf psychischer Ebene belastend, da sie als Rückschlag empfunden werden.
Während die Krankheit in stabilen Phasen nur eine untergeordnete Rolle spielt, drängt sie in instabilen in den Vordergrund und verdeutlicht, wie kurz das Glück stabiler Gesundheit sein kann. Das ist frustrierend und eine weitere Belastung für eine Beziehung, in der ein „normales“ Zusammenleben immer nur vorübergehend möglich ist.
Verschlechterung und Sterben
Die Verschlechterung des Zustands kann entweder langsam über mehrere Jahre hinweg fortschreiten oder sehr schnell. Für die Betroffenen ist das in gewisser Weise unerheblich, denn diese Phase dreht sich für sie immer um die Problematik, wie sie mit dem Abwärtstrend in ihrem Krankheitsverlauf fertig werden sollen.
Wenn sich akute, die Gesundheit betreffende Ereignisse häufen, bleibt aber ohnehin meist nur noch das reagieren, bis hin zu dem Punkt, an dem der Zustand so kritisch ist, dass es gilt, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten.
Herkulesaufgabe Bewältigung - was kann man tun?
Chronische Krankheiten bringen es mit sich und zwar für Betroffene wie Angehörige und Partner, sich ständig auf neue Situationen einstellen zu müssen. Weder stabile noch instabile Zustände sind von Dauer, sie sind auch niemals gleich, höchstens ähnlich. Ohne Geduld und großes Anpassungsvermögen ist es daher kaum möglich, die verschiedenen Auswirkungen einer chronischen Krankheit zu bewältigen, sowohl für die Betroffenen wie auch für ihre Partner.
Das Ziel ist dabei immer, der Krankheit sozusagen nicht das Feld zu überlassen und trotz der Einschränkungen, die sie mit sich bringt, ein gutes Leben zu führen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang aber schon die Tatsache, dass sich solche Einschränkungen nur bis zu einem gewissen Grad in die Lebensplanung integrieren lassen, kurzfristige Veränderungen zwingen häufig genug dazu, bereits gemachte Pläne aufzugeben und neue zu schmieden.
Dieser permanente Wechsel ist hinsichtlich der Bewältigung die größte Herausforderung, neben vielen weiteren in der Krankheitsbewältigung. Routinen sind oftmals kaum zu etablieren, weil der Krankheitsverlauf dynamisch und nicht gleichförmig ist. Die Bewältigung und die Suche nach immer neuen Möglichkeiten, sie angesichts neuer Situationen überhaupt noch zu schaffen, sind dabei ein niemals endender Prozess.
Teil dieses Prozesses ist die ständige Unsicherheit. Wie einige der später aufgegriffenen Fälle zeigen, gehört sie für viele Betroffene schon mit der Suche nach der richtigen Diagnose zu ihrem Leben dazu, auf unterschiedlichen Ebenen:
Die medizinische Diagnostik wird zwar laufend verbessert, trotzdem ist es gerade bei seltenen Erkrankungen nach wie vor schwierig, auf Anhieb die richtige festzustellen. Unter Umständen kann der Weg zur endgültigen Diagnose lang sein, die Unsicherheit wird dann durch unterschiedliche Expertenmeinungen und selbst zu Rate gezogene Informationen nur noch vergrößert, jede körperliche Beschwerde könnte ein weiteres Symptom sein.
Allerdings enden die Unsicherheiten keineswegs, wenn die Diagnose gestellt wurde. Zwar lassen sich auf dieser Grundlage etwa Therapiemöglichkeiten besser abschätzen, ob diese aber letztlich anschlagen, das muss zumindest in der langfristigen Perspektive immer ungewiss bleiben. Prognosen sind daher nur von begrenzter Aussagekraft und dadurch ein weiterer Unsicherheitsfaktor.
Ein weiterer schwerwiegender Aspekt, den es für Betroffene und Partner zu bewältigen gilt, sind die Auswirkungen einer chronischen Krankheit, die über das rein Körperliche hinausgehen. Die Notwendigkeit der ständigen Anpassung wurde bereits angesprochen und sie sollte nicht unterschätzt werden: Dazu betrifft sie einfach zu viele Ebenen des alltäglichen Miteinanders, nicht nur innerhalb der Familie.
Nicht oder nicht mehr am Leben teilnehmen zu können, wie es gesunde Menschen tun, ist eine häufig unabwendbare Begleiterscheinung eines fortschreitenden Krankheitsverlaufs. Das kann bis hin zur sozialen Isolation fühlen, weil sich sonst übliche Tätigkeiten wie Treffen mit Familie und Freunden nicht mehr mit dem Gesundheitszustand vereinbaren lassen. In ähnlicher Weise betrifft das auch Partner, weil sie oft nicht nur alltägliche Aufgaben zusätzlich übernehmen müssen, sondern unter Umständen noch pflegerisch tätig sein müssen.
Chronische Krankheit als Stigma
Ein anderes, aber kaum weniger weitreichendes Problem, das für chronisch Kranke zu bewältigen gilt, ist die Stigmatisierung. Dabei können die Gründe ebenso vielfältig sein wie die Auswirkungen. Grundsätzlich beruht ein Stigma auf der Andersartigkeit im Vergleich zu gesunden Menschen. Entsprechend größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Stigmatisierung, wenn die Symptome einer chronischen Krankheit besonders auffällig sind.
Zum anders Sein kommen Vorurteile und Stereotype hinzu. Ihnen folgen dann Ausgrenzung oder sogar Diskriminierung. Eines der prominentesten Beispiele hierfür dürften wohl, leider bisweilen immer noch, HIV-Infektionen sein. Die sozialen Prozesse, die in diesem wie in anderen Fällen zu einer Stigmatisierung führen können, erschweren dementsprechend auch die Partnersuche. Die Frage ist in diesem Zusammenhang immer, wie viel Offenheit einem potenziellen Partner gegenüber überhaupt möglich ist, ohne befürchten zu müssen, diesen abzuschrecken.
Beim Thema Partnerwahl spielen aber nicht nur unzureichende und falsche Vorstellungen von der Krankheit eine Rolle, sondern auch die fehlende Bereitschaft, sich auf ein Leben einzulassen, bei dem zahlreiche Herausforderungen bereits vorprogrammiert sind. Einen chronisch kranken Partner bekommt man eben immer nur im Doppelpack, zusammen mit der Krankheit.
Des bedeutet, sich mit ihm in bestimmten Lebensbereichen und -situationen einzuschränken, selbst wenn die eigene Verfassung das nicht notwendig macht. Es bedeutet, ein Stück weit von sich selbst aufzugeben und eine große Verantwortung, nicht zuletzt dann, wenn pflegerische Tätigkeiten eine Rolle spielen.
Einfach wird eine Beziehung inklusive chronischer Krankheit daher sicher nicht. Was darüber allerdings nicht vergessen werden darf: Die Krankheit gehört zwar zu den Betroffenen dazu, aber sie sind nicht die Krankheit. Ganz zu schweigen davon, dass sie eben genauso wenig nur unter den körperlichen Folgen leiden.
Welche Konsequenzen kann eine Krankheit in einer Beziehung haben?
Die Bewältigung der typischen Herausforderungen müssen Betroffene selten ganz alleine tragen. Das unmittelbare Umfeld ist üblicherweise von Beginn an stark eingespannt, Familie und Partner sind in jeder Phase der Erkrankung „am nächsten dran“. Mit allen Konsequenzen.
Die körperliche Ebene
Es ist natürlich eine grobe Vereinfachung, das gemeinsame Leben auf eine körperliche und eine psychische Ebene zu reduzieren. Aber nachfolgend soll es schließlich hauptsächlich um die Folgen gehen, die eine chronische Krankheit für eine Beziehung bedeutet. Faktoren wie die erwähnte soziale Isolation werden darüber trotzdem nicht vernachlässigt, weil sie oftmals mittelbare oder unmittelbare Folgen körperlicher Einschränkungen oder psychischer Belastungen sind. Insofern scheint es legitim, von den physischen und psychischen Konsequenzen auszugehen. Die Übergänge, das dürfte im Folgenden schnell klar werden, sind dabei ohnehin fließend, die beiden Ebenen so klar überhaupt nicht voneinander zu trennen.
Um eines an dieser Stelle gleich vorwegzuschicken, es ist kaum möglich, auf alle Facetten körperlicher Auswirkungen von chronischen Erkrankungen einzugehen. Das wäre es ohnehin, weil Krankheitsverläufe immer individuell verschieden sind, weil es eine lange Liste unterschiedlicher chronischer Krankheiten gibt, aber vor allem sind mitunter alle Bereiche des alltäglichen Lebens betroffen und daher kann hier nur angeschnitten werden, wie weit dieser Aspekt reicht.
Ein Beispiel hierfür sind Schmerzen, ungeachtet ihrer Art (etwa Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Taubheitsgefühle und viele weitere Zustände mehr). Diese müssen nicht einmal selbst chronisch sein, um die Mobilität der Betroffenen einzuschränken, auch wiederkehrende Schmerzen, die in Folge einer anderen Krankheit auftreten, beeinflussen die Handlungsmöglichkeiten ganz empfindlich.
Unterstützung sollte niemals zu einer Einschränkung des Rechts auf eine aktive Gestaltung des Lebens werden – auch nicht bei alltäglichen Dingen.
Dem kann ein Paar nur begegnen, indem etwa die Aufgabenverteilung in der Haushaltsführung ständig angepasst wird. Je nach Zustand ist das eine täglich wiederkehrende Aufgabe, für die es eines offenen Austauschs zwischen den Partnern bedarf. Schließlich sind gesunde Partner auch nicht immer in „Bestform“, brauchen ebenfalls Möglichkeiten für ihre Erholung, wenn sie zu viel allein schultern oder es zumindest versuchen. Das kann nur eine begrenzte Zeit lang gut gehen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Die psychische Ebene
Um das Beispiel Schmerz noch einmal aufzugreifen: Es lässt hieran gut verdeutlichen, wie ein körperliches Krankheitssymptom Auswirkungen auf die Psyche haben kann. Führt man sich nur einmal die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ein, so kann man sich leicht vorstellen, dass diese zu Frust und einem Gefühl der Hilflosigkeit führen kann.
Ein solcher Zustand stört das Selbstwertgefühl, weil schon alltägliche Handlungen wie das Aufstehen, Duschen oder Anziehen zu beinahe unmöglichen Unterfangen werden. Nicht zu vergessen, dass körperliche Nähe und Sexualität womöglich eben keine Selbstverständlichkeiten sind. Was unweigerlich die Frage aufwirft, wie weit ein gesunder Partner seine Bedürfnisse zurückstellen kann oder wie weit umgekehrt die des erkrankten erfüllt werden können, ohne zu körperlicher Überforderung (oder Schlimmerem) zu führen.
Hinzu kommt, dass Schmerzen bekanntermaßen ein unsichtbares Symptom sind, sie lassen sich für Außenstehende in ihrer Tragweite nur schwer nachvollziehen. Ein „Stell-dich-nicht-so-an“ ist unter diesen Voraussetzungen eine irgendwie verständliche, aber nichtsdestotrotz wenig hilfreiche Reaktion. Sie unterstellt eine Übertreibung des Schmerzes bin hin zum Simulieren, obwohl aus Sicht des erkrankten Partners vor allem auf Verständnis gehofft wird.
Der umgekehrte Fall wäre das, was gerne als „Overprotection“ bezeichnet wird (vor allem im Zusammenhang mit überfürsorglichen Eltern): das Aufopfern für den kranken Partner, bei dem diesem sämtliche potenziellen Erschwernisse abgenommen werden. Das Problem einer derart falsch verstandenen Zuwendung ist nicht nur die größere Wahrscheinlichkeit, an der selbstauferlegten Bürde zu zerbrechen. Es besteht vor allem darin, dass diese Form der Behütung den Kampf des Kranken um größtmögliche Normalität völlig untergräbt.
Anstatt Wege zu finden, wie eine Teilhabe am Alltagsgeschehen trotz der Krankheit realisiert werden kann, wird der kranke Partner so zunehmend in die Passivität gedrängt. Worunter das Selbstwertgefühl letztlich nur noch mehr leidet. So gut es also gemeint sein mag, die Belastungen vornehmlich auf das gesunde Paar Schultern zu packen, so schwierig wird das über kurz oder lang für beide Partner werden, bis hin zu dem Punkt, an dem die Beziehung eher an die zwischen Patient und Therapeut erinnert.
Auswirkungen auf das Gefühlsleben
Dann stellt sich die Frage, wie weit die Gefühle für den Partner schon gelitten haben, ob nicht die emotionale Distanz schon so groß ist, dass von einer Beziehung gar nicht mehr gesprochen werden kann. Was dramatisch klingt, ist durchaus kein unrealistisches Szenario. Natürlich ist es ein Extremfall im Miteinander zwischen chronischen krankem und gesundem Partner.
Aber es wäre blauäugig anzunehmen, dass die Belastungen einer solchen Krankheit keinen Einfluss auf die Gefühle füreinander haben. Vor allem dann, wenn die jeweiligen Befindlichkeiten und Bedürfnisse nicht in ausreichendem Maß kommuniziert werden. Im ganzen emotionalen Auf und Ab des Krankheitsverlauf und vor dem Hintergrund der ständigen Anpassung an neue Gegebenheiten ist es deshalb aus der Perspektive des gesunden Partners ein schwieriger, aber notwendiger Balanceakt, die eigenen Bedürfnisse nicht so weit aus den Augen zu verlieren, dass sie irgendwann selbst zu einem Problem werden.
Erfahrungsberichte - aus dem Leben
Grau ist trotzdem alle Theorie und Ratschläge sind leicht gegeben. Das gilt umso mehr, wenn es um Menschen mit ihren ganz individuellen Vorstellungen, Wünschen, Bedürfnissen, Träumen geht. Wie also schaffen es Paare, bei denen ein Partner unter einer chronischen Krankheit leidet, ihre Beziehung oder Ehe zu erhalten, ohne die Erkrankung darüber bestimmen zu lassen? Schaffen sie es überhaupt? Erfahrungsberichte von Betroffenen und Partnern zeigen, wie schwierig das Miteinander sein kann, welche Zweifel und Ängste auf beiden Seiten herrschen und wie sie doch gemeinsam überwunden werden können.
Karina geht auf ihrer Seite „holy-shit-i-am-sick.de“ sehr offen mit ihrer Diagnose (dem Ehlers-Danlos-Syndrom) und den Folgen, die ihre Erkrankung auf ihr Leben hat um. Zum Beispiel auf das Leben in einer Beziehung. Die wichtigste Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang wohl die Notwendigkeit, sich als chronisch Kranker nicht minderwertig zu fühlen und sich stattdessen nach besten Kräften und im Rahmen der Möglichkeiten in die Beziehung einzubringen und dadurch einen ganz eigenen Weg zu finden. Etwa den zum Standesamt, den sie vor zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Mann gegangen ist.
Wie schwierig das allerdings ein kann, verdeutlicht die Geschichte eines Paares, bei dem nach anfänglichem, ungetrübtem Glück ihre Multiple Chemical Sensitivity für einen schwerwiegenden Bruch im gemeinsamen Leben führt. Die Erfahrungen, die das Paar im Laufe der Jahre gemacht hat, zeigen eine große Bandbreite von den Aspekten, die oben beschrieben wurden. Für sie bestand die Problematik zu einem nicht unerheblichen Teil darin, das richtige Verhältnis zwischen (zwangsläufiger) Nähe und notwendigen Freiheiten zu finden. Ein Beispiel dafür, dass es trotz einer chronischen Krankheit keine Lösung sein kann, als gesunder Partner die eigenen Bedürfnisse völlig zu vernachlässigen.
Ähnlich klingt das bei Peter Mario, dessen Frau Heike an MS leidet, und der immer wieder feststellen muss, dass er selbstverständlich auch leidet. Auf eine andere Art und Weise, schließlich muss er nicht die körperlichen Belastungen ertragen. Trotzdem, und das ist tatsächlich etwas, das vom Umfeld gerne und aus nachvollziehbaren Gründen übersehen wird, fordert das für jemanden mit einer chronischen Krankheit da sein auch von einem gesunden Partner viel Kraft und viele Entbehrungen.
Insofern ist seine Frage nach dem Befinden dieser Partner im Prinzip gar nicht so provokant: Sie spiegelt die Erfahrungen vieler solcher Beziehungen wieder, in denen es für den Gesunden zwar eine Selbstverständlichkeit ist, sich zu kümmern, der aber ungeachtet dieser Tatsache in seinem Tun nicht als selbstverständlich wahrgenommen werden möchte. Auch das ist ein oftmals schwieriger Balanceakt zwischen dem Zurücknehmen der eigenen Person und dem verständlichen Wunsch, nicht gänzlich in den Hintergrund zu geraten.
Alle diese Sorgen lassen sich auch in den Schilderungen von Paaren wiederfinden, die mit der Diagnose Mukoviszidose zurechtkommen müssen. Was ihre Fälle, genau wie die übrigen hier genannten, jedoch mehr als deutlich machen, Partnerschaft und chronische Krankheit schließen sich keineswegs aus. Es gibt nur besondere Bedingungen, aber die betreffen vornehmlich das Zusammenleben und nicht die Gefühle füreinander.