Endlich! Schwangerschaft und Geburt sind gut verlaufen und das Kind ist da! Doch was, wenn das Glück auch seine Schattenseite hat? Schätzungsweise 100 000 Frauen jährlich haben nach der Geburt mit psychischen Problemen zu kämpfen, besonders, wenn das „freudige Ereignis“ zur seelischen Erschütterung wird. Mütter, die eine emotionale Geburtsverletzung erlebt haben, brauchen Unterstützung um das Geburtstrauma verarbeiten zu können.
Geburtstrauma oder Baby Blues?
Bist du nach der Geburt schlecht drauf? Bis zu 80 Prozent der Mütter kennen das. Doch bei manchen hört das Stimmungstief –bedingt durch körperliche, hormonelle und psychische Veränderung - nicht schon wenige Tage nach der Geburt des Kindes auf.
Eine traumatische Geburt kann für die betroffenen Frauen und auch deren Partner, ein quälender Zustand sein. Oft wird der Zustand der Frau mit einer Wochenbett-Depression abgetan, da sich viele Anzeichen ähneln. Man setzt darauf, dass sich die schlechte Stimmung des „Baby Blues“ von selbst bald wieder gibt. Die ohnehin verunsicherten Frauen werden mit gut gemeinten Floskeln, wie „Das sind nur die Hormone.“, „Das vergeht schon wieder.“, „Das ist normal, da musst du durch.“, abgefertigt und bleiben im Endeffekt sich selber überlassen.
Die Anzeichen ähneln einer Wochenbettdepression:
- Gefühl von innerlicher Erstarrung
- emotionale Taubheit
- Erschöpfung
- Gereiztheit
- Ängstlichkeit
- Rückzug
- alltägliche Situationen werden als bedrohlich wahrgenommen
Traumatische Geburtserlebnisse - nicht nur ein Problem der Mütter
Durch die Geburt bedingte traumatische Erlebnisse können nicht nur die Mutter, sondern auch den Vater betreffen. Der frischgebackene Elternteil fühlt sich nach der Geburt des Kindes, besonders wenn es sich um das erste Kind handelt, mit seinen Emotionen allein gelassen. Man weiß nicht, wie das Erlebte überwunden werden kann, wie man jemals ein weiteres Kind bekommen soll, ohne abermals traumatische Erfahrungen zu machen. Der Betroffene zieht sich zurück, weil das Verständnis des Umfeldes fehlt.
Doch der Druck wird größer:
- das Baby fordert Aufmerksamkeit
- der Partner ebenso bzw. beginnt zu nörgeln oder fühlt sich zurückgesetzt
- Schlaf und Ruhe kennen die Eltern nur mehr vom Hörensagen
Dazu kommt das Gefühl, dass man glaubt, ein schlechter Elternteil zu sein. Die erwartete Freude auf das Kind bleibt aus und die Leidtragenden trauen sich oft gar nicht das anzusprechen.
Geburtstrauma verarbeiten – Spätfolgen vorbeugen
Dass Geburtsverletzungen erst viel später zu körperlichen Beschwerden führen können, ist generell wenig bekannt. Herz-Kreislaufprobleme, Ängste oder Schmerzen können beispielsweise ihre Ursache in einer traumatischen Begebenheit haben.
Beispiele für mögliche Spätfolgen:
- diffuse, wechselnde Schmerzen
- Herz-Kreislauf-Beschwerden
- Migräne
- Schmerzen und Unlust bei sexuellem Kontakt
- Depressionen
- Angstzustände
- Probleme des Stützapparates
Wie entsteht ein Geburtstrauma?
Eine Geburt kann starken körperlichen Stress auslösen. Der Körper geht dann in den „Notfallmodus“, das Erlebte wird nicht mehr richtig verarbeitet. Mögliche negative Vorerfahrungen, frühere Traumatisierungen (wie sexuelle Übergriffe) können mit eine Rolle spielen. Manche reagieren auf Äußerungen oder Handlungen der Hebammen oder Geburtshelfer oder haben einfach das Gefühl des Ausgeliefert seins. Komplikationen bei einer normalen Geburt oder ein ungeplanter Kaiserschnitt sind mit ein Risikofaktor.
Nach der ohnedies oft schwierigen Geburt fehlt zudem oft die Zeit, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, weil dann schon die ganze Aufmerksamkeit und Energie dem neugeborenen Kind gewidmet wird.
Wodurch ein Trauma ausgelöst wird lässt sich nicht generell sagen. Es ist von Fall zu Fall verschieden, denn jeder empfindet andere Dinge als mehr oder weniger negativ.
Wichtig ist eine verstärkte Aufklärung für werdende Mütter. Bereits bei der Geburtsvorbereitung sollte das Thema in Kursen, von Hebammen oder von Ärzten angesprochen werden. Betroffene können somit später ihre Situation besser zuordnen und Hilfe einfordern, zum Beispiel von der nachsorgenden Hebamme.
Wie kann man eine emotionale Geburtsverletzung lösen?
Die Technik des T.I.R. (traumatic incident reduction) kann hier helfen. Dadurch soll das Erlebte und all seine Aspekte verarbeitet und ins Bewussstsein gebracht werden. Ebenso soll man sich seinen Gefühlen klar werden und so die Belastung lösen. Zuhören kann hier eine wesentliche Hilfe sein. Es ist wichtig, dass die Betroffenen nicht länger vom Ereignis der schweren Geburt beherrscht werden, sondern wieder die Kontrolle erlangen. Das Gespräch ist weder wertend noch werden gut gemeint Ratschläge verteilt. Es findet nach den Regeln der T.I.R in einem geschützten Rahmen statt.
Ein Aufruf an die Väter
Es ist kein(!) Zeichen von Schwäche, wenn man sich eingesteht, dass man mit der Geburt überfordert worden ist. Es muss kein schwerer oder dramatischer Verlauf gewesen sein, der zu einer Traumatisierung führt. Manchmal sind es schlicht und ergreifend Gefühle der Hilflosigkeit, weil man seiner Partnerin diesen Schmerzen ausgesetzt sieht oder auch Aggressionen, wenn man im Grunde seines Herzens gar nicht dabei sein wollte und nun mit belastenden Bildern konfrontiert ist.
Ein professionelles Nachsorgegespräch mit Ärzten oder dafür ausgebildeten Experten könnte für Mütter und Väter gegebenenfalls den Start in den Familienalltag mit dem eigenen Kind, gerade in den ersten Wochen wesentlich erleichtern und späteren Problemen gezielt vorbeugen.