Die Ereignisse des letzten Jahres brachten eines an Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich. Ungewohnte Nähe im Lockdown, neue Aufgaben, und das Fehlen von Ablenkungen und Freiräumen machten auch das Leben für Paare und Familien alles andere als einfach. Dabei sind Konflikte eine wichtige Chance zur Weiterentwicklung. Die „Beziehungsarchitekten” Ute Giffey-Koschek und Hans Giffey erklären warum.
Konflikte und Chancen: Wie gehe ich mit meinem Partner um?
Konflikte sind das Normalste auf der Welt. Sie sind sogar dringend notwendig, damit Menschen oder Partner in einer Beziehung weiterlernen und ihre Grenzen für andere sichtbar machen können. In der Demokratie oder in einer gleichberechtigten Beziehung sind sie sogar unverzichtbar. Werden sie aber nicht sorgfältig ausgetragen, können sie eskalieren, unkontrollierbare Ausmaße annehmen und großen Schaden anrichten. Damit sich Konflikte und Chancen in Balance halten, braucht es Grundregeln in der zwischenmenschlichen Kommunikation.
"Es gibt ein paar Grundregeln, die bei einer konstruktiven Konfliktlösung helfen können. Das wichtigste dabei ist, Konflikte auf keinen Fall zu vermeiden. Durch Verdrängung entsteht nur neues Unheil", wissen Ute Giffey-Koschek und Hans Giffey, die seit Jahrzehnten als Paartherapeuten tätig sind.
Wenn es wurmt – wie entstehen Konflikte?
Die weltweite Pandemie und die daraus folgenden Einschneidungen in unseren Alltag haben an der allgemeinen Stimmung ihre Spuren hinterlassen. Viele können mit den Einschnitten in ihr Privatleben nur schwer umgehen. Paare sind vielleicht irritiert, durch die ungewohnte Nähe und die viele Zeit, die sie nun mit ihrem Partner verbringen. Eltern müssen ihre Kinder selbst unterrichten, was nicht nur zu Unstimmigkeiten mit den Kleinen, sondern auch zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Partner führen kann. Andere vermissen Sport, Cafés, Theater oder einfach das ungezwungene Treffen mit Freunden. Allgemein ist auch das Vertrauen in die Obrigkeit gesunken. Die verwendete Sprache wurde roher, was im Supermarkt oder auch im Netz zu erleben ist. Alles zusammen ist ein perfekter Nährboden für Konflikte in der Gesellschaft, in Beziehungen und Familien.
- Frustration,
- Irritation,
- Angst und
- Unsicherheit
können zu einem Verlust von Vertrauen führen, was unweigerlich zu mehr Unfrieden führt. Werden diese unangenehmen Emotionen, durch welche Gründe auch immer, größer, sinkt die Bereitschaft für Akzeptanz.
Meist hat der Inhalt aber gar nicht so viel mit dem eigentlichen Streit zu tun. Hinter einem Konflikt oder einer ersten Irritation steckt oft viel mehr. Es geht um das eigene Befinden, persönliche Erfahrungen und Sorgen oder Ängste, die bei den Betroffenen die Toleranzgrenze und die Bereitschaft zur Akzeptanz von anderen senken können. Ist die Irritation zu groß, kann das kognitive Gehirn nicht mehr normal denken und schaltet auf Kampf oder Flucht um. Um Konflikte und Chancen, die damit kommen, nicht eskalieren zu lassen, hilft es hier erst einmal, die Ebene zu wechseln.
Ich und Du – gemeinsam über eine Brücke gehen
Jeder Mensch bringt sein eigenes Bündel an Erfahrungen und Fähigkeiten mit sich. Nicht immer ist es für andere gleich zu erkennen, warum jemand plötzlich schlechte Laune hat oder sich an bestimmten Dingen stört. Hier hilft es, vom Gegenstand des Streits auf die Beziehungsebene zu wechseln und zu überlegen, wie es dem anderen denn jetzt gerade geht.
Ein Klassiker bei allen Konflikten ist das Verstricken in Details oder unwichtige Dinge, die nichts zur Lösung beitragen und alles nur verschlimmert. Wichtige Werkzeuge hierfür sind:
- eine respektvolle Sprache,
- aktive Akzeptanz (einfach hinnehmen, dass Menschen Probleme haben, ohne sie zu bewerten oder gleich helfen zu wollen),
- das Besinnen auf ein gemeinsames Ziel (meist streiten wir ja nur mit Menschen, die uns wichtig sind oder mit denen wir auf irgendeine Weise verbunden sind)
- Das Trennen von Person und Handlung.
Manche Menschen stört zum Beispiel Unpünktlichkeit, andere gehen sehr großzügig mit der Zeit um. Das gibt viel Anlass für Streit. Warum jemand aber Probleme mit unpünktlichen Menschen hat, kann in der Kindheit manifestiert worden sein und mit Trauer oder Verlustangst zu tun haben. Anstatt jedes Mal um ein Paar Minuten zu streiten, kann es hier Sinn machen, dieser Einstellung gemeinsam auf den Grund zu gehen.
Konstruktive Konfliktlösung – Jede Handlung macht Sinn
Um einen nach vorne gerichtete, konstruktive Konfliktlösung zu erreichen, ist es wertvoll, sich hier auf der Beziehungsebene zu begegnen. Jede Handlung macht in dem Moment für den Betroffenen „Sinn”, sonst hätte er sie nicht gesetzt. Sich auf die Suche nach diesem Beweggrund des anderen zu machen, ist gleichzeitig ein Schritt auf den anderen. Viele wissen selbst nicht über tiefer liegende Furcht Bescheid oder haben bestimmte Erfahrungen zwar abgespeichert, aber schon vergessen. Deswegen muss jemand ja trotzdem das Verhalten nicht tolerieren, aber es fördert Respekt und Verständnis.
Ein wertvoller Tipp der beiden Therapeuten ist es auch, vor einem Konflikt eine gute, respektvolle Atmosphäre zu schaffen. Ein Gespräch wird immer völlig anders verlaufen, wenn vor der eigentlichen Diskussion einander die Partner ein, zwei kleine Dinge aufzählen, die sie am anderen schätzen oder wofür sie dem anderen die letzte Woche über dankbar waren.
Konflikte und Chancen zur Weiterentwicklung
Sehr glücklich Paare haben eines Gemeinsam – Sie behandeln einander mit Respekt, Großzügigkeit, Dankbarkeit und Wertschätzung. Das macht sie in der Fachsprache zu „Masters”. Konflikte tragen sie genauso aus. Werden Meinungsverschiedenheiten oder Streitsituationen konstruktiv gelöst, tragen sie zum gegenseitigen Vertrauen bei. Vertrauen ist ein dünner Faden, der in eine Beziehung nicht fertig mitgeliefert wird, sondern langsam entsteht. Werden Konflikte nach vorne gerichtet gelöst und Akzeptanz aufrichtig gelebt, können alle Beteiligten sich weiter entwickeln.