Fast allen Menschen macht Einkaufen Spaß. Vor allem, wenn es sorgenfrei stattfindet, weil das Konto gerade gut gefüllt ist und nicht jeder Cent umgedreht werden muss. So ein gelegentliches Geschenk an sich selbst ist auch in Ordnung. Es macht sogar nachweislich glücklich: Wer ein Produkt, mit dem er lange schon geliebäugelt hat, endlich kaufen kann, schüttet Glückshormone aus, die der Gesundheit zuträglich sind. Allerdings ist dieser Fakt auch eine Ursache für ein nicht selten auftretendes Phänomen, für die Kaufsucht oder auch den Kaufzwang. Wenn das Einkaufen zur Sucht wird und stattfindet, um glücklich zu bleiben, ist dies eine regelrechte Erkrankung, die ernstgenommen werden muss.
Was genau ist Kaufsucht?
Wer kaufsüchtig ist, fällt aus dem Raster des normalen Kaufverhaltens in einer Weise heraus, dass Käufe vor allem in unüberschaubaren Mengen, oft aus dem Affekt heraus und in unnützer Weise stattfinden. Der Betroffene kauft also ständig Dinge oder nimmt Dienstleistungen in Anspruch, die er zum einen nicht benötigt und die zum anderen nicht selten außerhalb seines eigentlichen Budgets liegen. Diese Sucht, also der unwiderstehliche Drang zu kaufen, ähnelt durchaus Süchten wie Alkoholsucht, Arbeitssucht oder anderen stoffgebundenen, wie ungebundenen Süchten.
Genau wie jede andere Sucht bestimmt auch die Kaufsucht den Alltag vieler Betroffener so sehr, dass ein „normaler“ und entspannter Lebensstil oft kaum noch möglich ist. Käufe halten die Betroffenen davon ab, einen gewöhnlichen Alltag zu bestreiten. Der Drang zu kaufen ist bei der Kaufsucht meist stärker als der eigene Wille. In vielen Fällen wissen also Kaufsüchtige ganz genau, dass sie gleich ihrer Sucht nachgehen werden, können dem Kaufdrang dennoch nicht widerstehen. Ein solches Verhalten kann durchaus auch als Kontrollverlust beschrieben werden.
Typisch bei der Kaufsucht ist, dass ein Kauf kurzfristig als Befriedigung wahrgenommen wird und sogar im Sinne eines Beruhigungsmittels die Nerven beruhigen kann. Ein Kauf dient dann vielleicht sogar dazu, innere Unruhe zu betäuben, Probleme zu vergessen oder gar Ängste und Depressionen zu unterdrücken. Allerdings muss häufig, wie ebenfalls auch bei anderen Süchten, eine Dosissteigerung erfolgen, um diese Effekte zu erzielen, das heißt, es werden immer teurere oder immer häufiger Dinge angeschafft.
Merkmale zwanghaften Kaufverhaltens
Von zwanghaftem Kaufverhalten können alle Altersgruppen und alle Bildungs- und Einkommensschichten betroffen sein. In fast jedem Fall spezialisiert sich der oder die Betroffene auf bestimmte Waren oder eine bestimmte Kaufumgebung. Wer also bei sich selbst beobachtet, dass er immer wieder und über sein rational gesetztes Budget hinaus etwa Kleidung in teuren Läden kauft, bei enorm vielen Rabattangeboten im Supermarkt zugreift oder bestimmte Waren in Onlineshops oder Katalogen bestellt, sollte sich bewusst zurücknehmen und überlegen, ob das Kaufverhalten noch im normalen Rahmen liegt. Die Meinung eines Zweiten dazu gibt in den meisten Fällen ebenfalls Aufschluss darüber. Das kann ein Familienmitglied oder ein Freund sein, demgegenüber man sich öffnet.
Generell scheint es unterschiedliche bevorzugte Waren bei Frauen und Männern, die von der Kaufsucht betroffen sind, zu geben: Frauen greifen bevorzugt zu Schuhen, Kleidung, Schmuck, Büchern und Lebensmitteln, Männer dagegen kaufen gerne technische Accessoires, technische Geräte, Sportgeräte und andere Dinge, die vornehmlich als „Prestigeobjekte“ beschrieben werden könnten. Oft lässt sich aus den Waren auch eine Art „Symbolik“ herauslesen; Betroffene kaufen dann abhängig von ihrer Gemütslage. Wer sich zum Beispiel nach Wärme und Nähe sehnt, kauft vielleicht eine Kuscheldecke oder einen Pelz, an den er sich schmiegen kann, wer sich zurückziehen möchte dagegen eher ein Buch.
Während Ess- oder Magersucht fast ausschließlich Süchte sind, an denen Frauen erkranken, ist die Kaufsucht zwar auch eher eine weibliche Sucht, allerdings sind auch viele Männer betroffen. Einige Psychologen vermuten, dass Frauen aufgrund ihrer weiblichkeitsspezifischen Sozialisation, welche passivere und emotionalere Verhaltensweisen fördert, innere Konflikte und Probleme eher unauffällig lösen wollen, die Kaufsucht „eignet“ sich dafür dann extrem gut.
Warum Menschen kaufsüchtig werden
Die Ursachen der Kaufsucht sind vielfältig. Am besten versteht man das zwanghafte Kaufverhalten, wenn unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden.
Die Persönlichkeit
Der Weg in die Kaufsucht ist häufig von hoher Impulsivität, geringer Selbstkontrolle und vor allem auch Selbstwertproblemen begleitet. Derlei Selbstwertprobleme können durch eine Vielzahl seelischer Verletzungen und Defizite entstehen, die einem selbst gar nicht so bewusst sind, die sich aber im Laufe eines Lebens ansammeln können. Viele Kaufsüchtige scheinen als Kinder emotional vernachlässigt worden zu sein. Sie bekamen von den Eltern entweder zu viel ungebührliche Überversorgung oder aber Ablehnung zu spüren. Viele Kaufsüchtige beschreiben sich im akuten Zustand auch als unsicher und sozial ängstlich.
Die Gesellschaft
Kaufsucht tritt vor allem in Industrieländern mit kapitalistischem Wirtschaftssystem auf. Faktoren, die die Kaufsucht hier wiederum begünstigen, scheinen ein mangelndes Geldmanagement, Materialismus und die Konsumorientierung zu sein. Hinzu kommen erschwerte Bedingungen für Kaufsüchtige, die etwa auf Phänomene wie die Finanzkrise im Jahr 2008 zurückzuführen sind. Seitdem ist das Sparen für den Konsum unbeliebter denn je; stattdessen lässt sich die Tendenz beobachten, dass das vorhandene Geld lieber direkt für schöne Anschaffungen ausgegeben wird. Es wird also heute wenig gespart und viel konsumiert, keine guten Bedingungen für all diejenigen, die sowieso schon anfällig für ein zwanghaftes Kaufverhalten sind. Denn der „Trend“ begünstigt einerseits den ständigen Konsum und wirkt gleichzeitig auch wie eine rechtfertigende Basis im Sinne von „die anderen kaufen ja auch ständig schöne Dinge“.
Stress
Zu viel Arbeit, zu wenig Bewegung, eine schlechte Ernährung, mangelnder Schlaf und einige weitere Dinge begünstigen die Entstehung von Stress. Wer dann nichts unternimmt und dem Stress nicht etwa mit bestimmten Entspannungstechniken entgegenwirkt, entwickelt negative Emotionen, die nach Ausgleich schreien. Dieser Ausgleich findet häufig durch Lustkäufe statt, welche die Stimmung kurzfristig heben und das Stresslevel senken. Allerdings bewegen sich Betroffene damit meist in einem Teufelskreis, weil die Kompensation durch Käufe keine Ursachen-, sondern eine Symptombekämpfung ist. Die psychische Belastung wird dadurch immer größer.
Die Folgen der Kaufsucht
- Viele Betroffene sprechen, selbst wenn sie ihre eigene Sucht erkannt haben, häufig nicht über ihr Leiden. Sie schämen sich dafür oder haben Angst vor den Reaktionen Bekannter oder der Familie. Hilfe suchen sie sich nicht selten erst dann, wenn das Konto bereits leer ist, Schulden sie stark belasten oder etwa auch die Partnerschaft an der Sucht leidet oder zerbricht.
- Sobald sich die Süchtigen ihre Sucht eingestehen ist es häufig schon zu spät und die EC- oder Kreditkarte ist bereits von der Bank eingezogen worden, soziale Beziehungen sind schlimmstenfalls aufgelöst.
- Viele Betroffene leiden außerdem entweder infolge der Kaufsucht oder bereits vorher an einer Depression oder zumindest unter Ängsten. Auch Abhängigkeiten wie Essstörungen treten häufig in Zusammenhang mit Kaufsucht auf.
- Auch das Messie-Syndrom ist unter Kaufsüchtigen verbreitet. Die Betroffenen räumen ihre erworbenen Waren nicht mehr weg und in den Räumen stapeln sich unbenutzte Objekte. Da sie sich auch für dieses Chaos häufig schämen, verweigern sie anderen den Zutritt in die Wohnung und ziehen sich infolgedessen auch von Angehörigen und Freunden zurück.
Auswege aus der Erkrankung
Bevor sich die Schulden häufen und soziale Kontakte ins Wanken geraten, gilt es, die Notbremse zu ziehen. Die meisten Kaufsüchtigen merken recht bald, dass ihr Verhalten nicht ganz der Norm entspricht, verschließen aber erfolgreich davor die Augen. Wer selbst dazu neigt, vermehrt zwanghafte Käufe zu tätigen und daraus eine Befriedigung zieht, sollte bewusst über sein Verhalten reflektieren und dieses nicht einfach ignorieren. Denn je früher das Problem vom Betroffenen selbst erkannt und als ein solches akzeptiert wird, desto größer sind auch die Heilungschancen. Bei fortgeschrittener Sucht dagegen ist eine Psychotherapie häufig der beste Weg. Dabei wird den Betroffenen dabei geholfen, ihre Gedanken und Gefühle zu erkennen, die zum zwanghaften Kaufverhalten führen. Die Patienten müssen lernen, wie sie sich mit ihren Problemen, wie etwa einem geringen Selbstwertgefühl oder einer bestimmten Angst auseinandersetzen und diese behandeln, bzw. überwinden können. Selbsthilfegruppen dienen darüber hinaus vor allem dem Zweck, sich mit der Kaufsucht offen auseinanderzusetzen und aus gegenseitiger Unterstützung Mut und Kraft zu schöpfen.
Es muss jedoch erst gar nicht so weit kommen. Denn wer eine Tendenz zu vermehrtem und vielleicht schon unkontrolliertem Kaufverhalten an den Tag legt, kann mit Hilfe folgender Tipps rechtzeitig entgegensteuern:
- Wer Bar bezahlt und sieht, wieviel Geld er ausgibt, rudert häufig zurück. Deshalb sollten beim Einkaufen oder Shoppen nie Karten mitgenommen, sondern vorher ein bestimmter Betrag abgehoben werden, der maximal ausgegeben werden darf.
- Schluss- und Sonderverkäufe sind besonders verlockend für alle, die zur Kaufsucht neigen. Diese sollten daher gänzlich gemieden werden, um einem Kaufrausch aus dem Weg zu gehen.
- So schwer es auch sein mag, vom Internetshopping sollten die Finger vollkommen gelassen werden. Denn die Möglichkeit rund um die Uhr und grenzenlos einzukaufen, was immer das Herz begehrt, ist für Kaufbegeisterte besonders tückisch. Nicht selten ist das Internetshopping der entscheidende Auslöser für eine chronische Kaufsucht.
- Eine weitere gute Möglichkeit, sich selbst zu zügeln und die Kontrolle über seine Käufe zu behalten ist es, genaue Einkaufslisten zu führen und alles aufzulisten, was in einer Woche gekauft wurde. Diese Liste sollte dann beispielsweise im Portemonnaie immer mitgeführt werden. Entsteht spontan eine Kauflust, genügt häufig ein Blick auf die Liste, um sich daran zu erinnern, was alles schon gekauft wurde. Häufig wirkt ein solcher Denkzettel abschreckend und verhindert weitere Frust- oder Lustkäufe.