Sexuelle Revolutionen gab es schon viele. In den 60er-Jahren protestierten die Menschen für mehr sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung in der Verhütung. Eine nicht ganz so laute, aber nicht weniger wichtige hat die südafrikanische Sexualtherapeutin Diana Richardson 2011 mit ihrem Buch „Slow Sex“ ausgelöst. Sie plädiert darin für mehr Achtsamkeit beim Sex und den Verzicht von Leistungsdruck in der Liebe. Slow Sex ist aber keine neue Technik, es ist eine innere Einstellung, die uns dabei helfen kann, unseren Partner und vor allem uns selbst intensiver wahrzunehmen. Wie Slow Sex für Männer und Frauen funktioniert, erfährst du hier.
Anders denken in der körperlichen Liebe: Was ist Slow Sex?
Slow Sex ist der Titel eines Buches, das die Sexualtherapeutin Diana Richardson vor zwölf Jahren geschrieben hat. In den zehn Kapiteln des Buches dreht sie dabei fast alles um, was wir über Sex zu wissen glauben. Diana Richardson selbst bezeichnet ihre Methode (oder vielmehr These) als „körperliche und spirituelle Revolution“. Langsam muss es dabei nicht unbedingt zugehen, solange sich die Partner ganz auf sich selbst und den anderen konzentrieren und angelernte Verhaltensmuster und Automatismen in der körperlichen Liebe ausschalten. Zeit spielt dabei aber schon eine wesentliche Rolle. Im Schnitt, so schreibt Diana Richardson gleich im Vorwort, dauert der sexuelle Akt oft nur zwei bis drei Minuten, das ganze Liebesspiel ist oft schon nach zwanzig Minuten vorüber.
In einem Interview unterstreicht die Psychologin und Achtsamkeitstrainerin Hella Suderow die Bedeutung der Langsamkeit für Frauen in der Sexualität. „Damit die Vagina bereit ist, einen harten Penis wirklich aufzunehmen, braucht die Frau in der Regel mindestens eine halbe Stunde Einstimmung: Küssen, streicheln, liebkosen, was auch immer den Körper öffnet.“ Das nimmt vielen Frauen die Gelegenheit, die eigene Lust und Weiblichkeit in ihrer vollen Bandbreite genießen zu können. Slow Sex ist eine Form der Sexualität, bei der es nicht wie sonst um das Erreichen des Orgasmus geht. Es darf sein, muss aber nicht. Das kommt vorwiegend Frauen in ihrer Weiblichkeit entgegen.
Gibt es bei Slow Sex bestimmte Stellungen?
Diana Richardson hat mit ihrem Buch kein neues Werk über sexuelle Techniken geschrieben. Sie empfiehlt keine bestimmten Stellungen oder Techniken, das überlässt sie den Paaren ganz nach ihren Vorlieben. Es geht vielmehr um das bewusste Erleben im Bett und den Fokus auf den ganzen Menschen, mit seinem Körper, aber auch mit Geist und Gefühlen. Es geht nicht darum, normalen Sex einfach langsamer zu betreiben, es geht um neue Denkmuster. In unserer Leistungsgesellschaft ist auch die Liebe leider oft mit sehr viel Druck verbunden. „Slow“ in Verbindung mit Sex lehnt sich an den Begriff Slow Food an. Auch hierbei geht es mehr um bewussten Genuss und hochwertige Zutaten als um viel Firlefanz und aufregende Details beim Kochen.
Ein Beispiel hierfür ist die Kunst des Küssens. Als Teenager ist Küssen oft die erste sexuelle Handlung, die mit viel Liebe und Hingabe zelebriert wird. Erwachsene Männer und Frauen, die bereits Routine in der Sexualität haben, nehmen sich oft keine Zeit mehr für sinnliche Küsse voller Gefühl. Das ist schade, da Küssen viel mehr als ein Vorspiel in der Disco ist. Diana Richardson hat sich für ihre neue Art, Sexualität zu sehen, aus dem Tantra und dem Taoismus bedient. Hier gibt es schon gewisse Techniken, die den Orgasmus beim Mann hinauszögern können. Dafür braucht es aber Zeit, Hingabe, Entspannung, Achtsamkeit und viel Herz. Schließlich geht es ja um die Liebe, egal ob wir Sex mit einem fixen oder eher lose verbundenen Partner genießen.
Lust durch Langsamkeit: Was sind die wichtigsten Schritte beim Slow Sex?
Slow bedeutet in der Philosophie der südafrikanischen Sexualtherapeutin auch, den Fokus auf die Entspannung zu lenken. Es ist nicht ganz so leicht, sich auf Kommando zu entspannen. Entspannung braucht viel Vertrauen. Spaß am eigenen Körper und an dem Körper des anderen zu haben, hilft dabei sehr. Diana Richardson betont daher das gemeinsame Gespräch beim Sex. Gemeinsames Lachen oder sich zu unterhalten, stellt im Nu Verbindung her. Kommunikation lenkt auch ab vom lästigen Gedankenkarussell, das sich bei Frauen oft um die Figur, die Haut oder andere angebliche Unzulänglichkeiten dreht. Bei Männern kann die Slow-Sex-Methode mit ihrer Innigkeit und sanften Zärtlichkeit oft die Angst vor einer nicht funktionierenden Erektion nehmen.
Für den Genießer-Sex brauchst du:
- das Wichtigste: ungestörte Zeit
- intensiven Blickkontakt
- die gemeinsame Bereitschaft und Lust auf erotische Neuentdeckungen
Slow Sex ist eine Bereicherung für die Sexualität, die Liebe und das Leben im Allgemeinen. Der Orgasmus wird oft völlig überbewertet. In Filmen wird uns oft vorgegaukelt, dass erfüllter Sex im gemeinsamen Orgasmus beider Partner liegt. Laut einer Studie zu Sexleben der Deutschen aus dem Jahr 2017 schaffen das aber nur drei Prozent aller Paare. Lust kennt aber noch viel mehr Dimensionen. Um unser Denken umzudrehen, kannst du das Liebesspiel mit einer Partnermassage beginnen. Je mehr Zeit du dir für Gefühl, sanfte Berührungen und neue Entdeckungen nimmst, desto mehr Oxytocin wird im Körper ausgeschüttet. Oxytocin ist ein Bindungshormon, das durch Streicheln oder andere körperliche Berührungen erzeugt wird.
Im Tantra sind das Hinauszögern und Genießen der Lust das Wesentliche. Mit einer bewussten Atmung aus dem Bauch funktioniert die Entspannung auch beim Slow Sex gleich viel besser. Diese Achtsamkeit beim Sex sorgt für eine tiefe, liebevolle Vereinigung, der Sex und Meditation verbindet. Langsam zu genießen, statt Richtung Orgasmus zu hetzen, lautet das Motto bei Slow Sex.
Das Finale bei Slow Sex
In der Abschlussphase beim Slow Sex geht es darum, das erotische Spiel langsam ausklingen zu lassen und die Nähe und Verbundenheit zu genießen. Die Sexualtherapeutin Nancy Glisoni empfiehlt dafür sogar ein gewisses Ritual, bei dem sich beide Partner für das gemeinsam Erlebte bedanken, ganz wie du es auch nach einer absolvierten Yogastunde bei dir selbst machst.
Du kannst mit deinem Partner auch besprechen, was dir besonders gut gefallen hat und wie du noch leichter durch die empfangenen Berührungen abschalten konntest. Slow im Bett bedeutet hier auch, dass man die neue Denkrichtung nicht von einem Tag auf den anderen lernen kann. Es braucht vielleicht etwas Zeit, um deinen Geist und den deines Partners von festgefahrenen Gedankenmustern beim Sex zu lösen. Es soll aber vor allem Spaß machen und befreiend sein.